Schinderhannes

Home ] Nach oben ] Reise 2024 ] Archiv ] Gesucht ] Brasil-Links ] Impressum ]

horizontal rule

Home
Nach oben

Der ursprüngliche Schinderhannes-Mythos fand sich in Brasilien

- Eine Feldstudie unter den Nachfahren 1824 eingewanderter Deutscher in der Kolonie Sao Leopoldo (Rio Grande do Sul, Brasilien)

von Dr. Mark Scheibe, Uni Mainz 

Der berüchtigte Räuber Schinderhannes ist ein Forschungsprojekt von Dr. Mark Scheibe an der Universität Mainz, Institut für Strafrecht und Strafrechtsgeschichte, Prof. Dr. Jan Zopfs. Hier werden zum einen die Straftaten und Mittäter des Räubers, als auch die Strafgerichtsbarkeit zur Zeit des Schinderhannes ermittelt. In diesem Zusammenhang ist es natürlich auch wichtig, zu erfahren, welcher eigentlich der ursprüngliche Schinderhannes-Mythos war, bevor der bekannte Räuber zu einem Räuberhauptmann und „Robin Hood“ wurde. 

Dr. Scheibe war im Juli 2007 vor Ort in Rio Grande do Sul, um dem Schinderhannes-Mythos der 1824 eingewanderten Deutschen näher zu kommen.

Während der Schinderhannes heute in aller Munde ist, muß man die Frage stellen, wie die einfache Bevölkerung ihn im 19. Jahrhundert sah.

Schriftliche Zeugnisse, die ihn beschreiben, wurden damals im wesentlichen von Menschen aufgezeichnet, die in den meisten Fällen gebildet waren: Presseleute, Romanschreiber, Angehörige des Staatsapparates.

Überlieferungen der einfachen Leute, des untersten Standes, die weder lesen und schreiben konnten und jeden Tag um ihr Überleben kämpfen mußten, sind heute in Deutschland nicht mehr vorhanden.

Um dem ursprünglichen Schinderhannes-Mythos der einfachen Leute zu erfahren, habe ich im Juli 2007 im brasilianischen Bundesstaat Rio Grande do Sul die 1824 entstandene deutsche Kolonie im Sinus-Tal besucht.

In das Gebiet mit einer Fläche von etwa 100.000qkm kamen in mehreren Einwanderungswellen (im wesentlichen) 1824-31, 1835-1870 Einwanderer vor allem aus dem Hunsrück und Hessen-Darmstadt.

Da das Gebiet vorher nicht besiedelt war und sich dort etwa 300.000 Einwanderer niederließen., ist die deutsche Sprache noch erhalten. Manche älteren Leute sprechen auch heute noch ausschließlich deutsch. Es ist jedoch zu erwarten, daß die deutsche Sprache dort in wenigen Jahren aussterben wird, da der brasilianische Staat seit den 1930er Jahren entsprechend  starke Bemühungen unternommen hat, insbesondere  deutschsprachiger Aufzeichnungen und Bücher während des Krieges fast vollständig vernichtet wurden und von der deutschsprachigen Bevölkerung nur vereinzelt Anstrengungen unternommen werden, das 1937 bis 1945 verbotene deutsche Kulturgut zu fördern. Insofern ist das Wissen darum nur noch in Ansätzen vorhanden.

Während meines dortigen Aufenthaltes hatte ich die Möglichkeit, an der Universität UNISINOS in San Leopoldo einen Vortrag über mein Forschungsprojekt Schinderhannes zu referieren und über die Presse und eine Feldstudie vor Ort dem ursprünglichen Schinderhannes-Mythos auf die Spur zu kommen. Im eigentlichen Siedlungsgebiet des Sinus-Tales leben heute fast ausschließlich Nachfahren der 1824 eingewanderten Deutschen, während die später Eingewanderten über die Randgebiete hinaus gedrängt worden waren und heute Ihre ursprüngliche Muttersprache nicht mehr beherrschen.

Erwartet hatte ich drei Schinderhannes-Bilder, wie es sie heute in Deutschland gibt:

bullet

Der schalkhafte Räuberhauptmann, ein „Robin Hood“, der die Reichen bestahl und den Armen gab.

bullet

Den Spruch „Schinderhannes ist ein Guter“, der nie ein Verbrechen beging und Opfer der französischen Besatzungsjustiz wurde.

bullet

Der berüchtigte Schwerverbrecher.

Das Ergebnis meiner Suche fiel aber anders als erwartet aus !

Vor Ort in Brasilien konnte jedoch kein einziger dieser Schinderhannes-Mythen gefunden werden.

Im Untersuchungsgebiet sind folgende drei Bilder bekannt:

bullet

         Der Pferdedieb.

bullet

Der Unzuverlässige, der einem anderen, der in Not geraten ist, nicht hilft, bzw. der einem anderen Hilfe versprochen hat, aber dann nicht hilft.

bullet

Der Tierquäler bzw. der mit Vieh schlecht umgeht.

Für entsprechendes Verhalten rügten die Hunsrücker den Missetäter mit Worten wie „Das ist ein Schinderhannes“ oder „Das ist dem sein Schinderhannes-Papier“ (von portugiesisch „Papel“ = Rolle, also einem Menschen zugedachtes Verhalten).

Auffallend ist, daß man heute in keinem einzigen Fall diesen „Schinderhannes“ mit einer realen, historischen Person in Verbindung gebracht hat.

Wenn man also heute landaus, landein von Schinderhannes-Wanderwegen, -gaststätten, -mahlzeiten oder ähnlichem liest, sollte man sich bewußt sein, das man damit einen Halunken am Leben hält, der zu Lebzeiten zurecht unter der Guillotine landete. Das zeigt auch die Auswertung der von ihm zugegebenen Straftaten: Bis heute kann man ihm 129 Verbrechen nachweisen, darunter 40 Viehdiebstähle, mindestens einen Mord und eine Folter. Apropos Räuber“hauptmann“: Es gab entgegen der landläufigen Vorstellung noch nicht einmal eine Schinderhannes-„Bande“. All dies sind Erfindungen der Presseleute und des Gerichts.

Wer sich intensiver mit dem Räuber auseinandersetzen will, dem empfehle ich meinen  Forschungsbericht „Schinderhannes – sein Lebensweg...“ (3. Aufl. 2006, 345 S.), der in einigen öffentlichen Bibliotheken ausleihbar oder für die Selbstkosten (22,- €) im Buchhandel bestellbar ist.

 

Mark Scheibe, Mainz (Scheibe@uni-mainz.de)